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Eintrag in das Buddelbuch – Euphelia am 1. Dezember

Euphelia ist ein großer Weihnachtsfan. Sie liebt die Deko, den Tannenduft und seit heute öffnet sich sogar noch jeden Tag eine Tür. Ganz unbedeutend begann vor einigen Tagen ein Gespräch über diese Adventstüren. Daraus wurde, keiner weiß mehr, wie es dazu kam, ein tiefgründiges Philosophieren über Türen. Ja, Euphelia, kichert vor sich hin. So weit ist es schon. Statt eben einfach nur ein Papptürchen zu öffnen und sich ein Stück Schokolade zu nehmen, philosophieren sie über Türen. Es ist noch kein Ende dieser Diskussion in Sicht. Dabei ist der Umgang mit Türen in unserem Alltag völlig selbstverständlich. Doch neben verschiedensten Türen in unserer Lebenswirklichkeit, die wir mit den Augen betrachten und bestaunen können, die unterschiedlich sind in Farbe, Material, Größe, Stabilität, gibt es so viele Erfahrungen und Empfindungen, emotionale Momente mit Türen. Gehen wir durch eine offene Tür einfach hindurch? Was verbirgt sich hinter einer geschlossenen Tür? Fallen wir mit der Tür ins Haus? Was passiert mit uns, während wir auf das Öffnen einer Tür warten? Wer Geheimnisse hat, bespricht diese hinter verschlossener Tür.
Euphelia spürt immer mehr diese Neugier, Türen zu erkunden. So gern würde sie dieses Abenteuer mit Conny gemeinsam erleben. Doch diese hat heute ausnahmsweise mal keinen einzigen Schritt vor ihre Tür gesetzt. Sie hat geschlafen, Brot gebacken, keine Nachrichten gehört, nicht telefoniert, sie hat gestrickt, gehäkelt, aufgeräumt, gelesen und über Türen nachgedacht. Dabei ging ihr ein Text im Kopf umher, der so gar nichts mit Weihnachten zu tun hat. Aber kaum jemals hat Conny eine so ergreifende Beschreibung einer Tür gelesen, wie in „Die Hundeblume“ von Wolfgang Borchert.

„Die Tür ging hinter mir zu. Das hat man wohl öfter, dass eine Tür hinter einem zugemacht wird – auch dass sie abgeschlossen wird, kann man sich vorstellen. Haustüren zum Beispiel werden abgeschlossen, und man ist dann entweder drinnen oder draußen. Auch Haustüren haben etwas so Endgültiges, Abschließendes, Auslieferndes.

Und nun ist die Tür hinter mir zugeschoben, ja, geschoben, denn es ist eine unwahrscheinlich dicke Tür, die man nicht zuschlagen kann. Eine hässliche Tür mit der Nummer 432. Das ist das Besondere an dieser Tür, dass sie eine Nummer hat und mit Eisenblech beschlagen ist – das macht sie so stolz und unnahbar; denn sie lässt sich auf nichts ein, und die inbrünstigen Gebete rühren sie nicht.

Und nun hat man mich mit dem Wesen allein gelassen, nein, nicht nur allein gelassen, zusammen eingesperrt hat man mich mit diesem Wesen, vor dem ich am meisten Angst habe: Mit mir selbst.“


Achja, da ist ja auch noch sein Werk „Draußen vor der Tür“. Ein Blick in das schmale Gesamtwerk von Wolfgang Borchert lohnt sich mal wieder. Euphelia kann sich nun Connys Tag richtig gut vorstellen. Decke, Sessel, Tee, Wolle, viel Wolle, Bücher, viele Bücher, alles nahe um sie herum. Und schon ist sie nicht mehr vor der Tür ihrer literarischen Helden, sondern sofort mittendrin. Da beschleicht Euphelia eine wachsende Angst. Wie werden sie aus diesem Tunnel in den nächsten Tagen wieder heraus kommen? 23 Türen stehen bevor, und die erste, nämlich die aus der Wohnung heraus, wurde wegen literarischen Philosophierens gar nicht geöffnet. Egal, denkt, Euphelia, vielleicht werden ja genug Freunde der Hausschreibfeder sich über neue Empfehlungen freuen, dem Nachdenken über Türen folgen und sogar selbst eigene Türen in Schrift oder Bild beitragen. Dann wird es ein wahrhaftes gemeinsames Adventsabenteuer.

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Eintrag in das Buddelbuch – Euphelia am 28. November

Euphelia hat sich so richtig satt gesoffen an der Bar. Bernsteinfarbe wurde erst mit viel Wasser ausgespült, dann mit blauem Gin und Tonic neutralisiert, bis Euphelia blau war, um anschließend ernüchternd festzustellen, daß tannengrün gerade Trend ist. Nun ist das Federbäuchlein dick und rund, kaum kann das kleine silberne Stiefelchen sie noch halten. Bei jedem Pups, ach nein Klecks duftet es nach Weihnachtswintertannenwald. Das soll ihr erst einmal jemand nachmachen. Aber egal, am wichtigsten ist für das Haus und für Euphelia – die Hausschreibfeder ist wieder im Dienst. Bei ihren Fragen am Tresen, was sie denn so verpaßt hat, wer denn da war, worüber gelacht worden ist, welche Ereignisse wichtig waren, mußte diese arme Feder feststellen, daß ihr Sommerurlaub ein nicht zu stopfendes Loch in die Chronik gerissen hat. Ganz offensichtlich sind die letzten Monate wie ein Kugelblitz an der Gutshotelfamilie vorbei gerast. Für besondere Erinnerungen braucht Euphelia Geduld und ein gutes Fragenkonzept. Später, denkt sie sich, denn zunächst muß die Exurlauberin das Hier und Jetzt erfassen. Als sie zwischen den Seiten ihres Freundes Faust in die Ferien verschwand, blühten die Rosen. Nun wird es bereits mitten am Tag dunkel, wobei alles nur eine Frage der Abstufung ist. Elegantes Grau ist die Farbe des ersten Advent. Doch wer mag schon nach draußen schauen, wenn es im Haus leuchtet und lacht und strahlt.

Sie haben es mal wieder geschafft, denkt sich Euphelia. Sie haben den Zauber von Weihnacht am ersten Advent in die Herzen ihrer Gäste gebracht. Die Räume erstrahlen im Kerzenschein. Es wurde gebastelt. Draußen im Park steckten sie gemeinsam Tannengrün in prächtige Vasen und Gefäße, wahrhaft unter vollem körperlichen Einsatz. Alte Buchseiten sind stolz darauf, gebraucht und bestaunt zu werden. Weihnachtsmusik erklang im strömenden Regen. Bratwurst vom Grill, Soljanka, Glühwein, Feuerschalen, Gelächter, Gespräche, warmes Licht von drinnen aus dem Gewölbe. Im Gutspark ein Gefühl von Weihnachtsmarkt, drinnen heimelige Vorweihnachtsstube.

Euphelia war so glücklich darüber, den heutigen Vormittag wieder auf ihrem Stammplatz Zwischen den Zeilen erleben zu dürfen. Jeder buchte sofort neu, man verabredete sich: Tschüß und bis zum nächsten ersten Advent. Die Gäste des ersten Advent – man kennt sich. Ja, denkt sich Euphelia, es ist etwas besonders in diesem Hotel. Nämlich, daß es kein Hotel, sondern eine große Gemeinschaft ist, in der jeder so sein kann, wie er ist, jeder seinen Platz findet, seine Ruhe oder seine Unterhaltung, sein Buch oder einen Lesekreis, liebevolle Gastgeber, die scheinbar nur ganz allein für ihn da sind.

Was auch immer sich verändern mag in Zeiten, die ohne Veränderung nicht gelebt werden können, dies soll so bleiben. Es muß Rituale geben, um die Sicherheit zu behalten, sich gelassen anlehnen zu können. Eines dieser Rituale ist das Bücherhotel. Es saniert, es erneuert mal eine Wandfarbe, aber es bleibt ein Haus der Herzen, der Zuwendung und der gelebten Gemeinsamkeit. Vielleicht müssen sie zwischenzeitlich schließen, überlegt Euphelia, aber dann nur, um mit dem bekannten Lachen wieder zu öffnen. Mal sehen, was kommt, doch sie werden aus den Zitronen eine schmackhafte Limonade zaubern und allen das Glas halbvoll einschenken, nie halbleer. Nun ist es heute abend ruhiger hier im Haus zwischen all den leuchtenden Kerzen. Der Gedanke an das Glas läßt Euphelia wieder an die Bar schweben – wegen des Duftes nach frischer Tanne – Ihr wißt schon. Zum Wohle Euch allen und beste Wünsche für einen zauberhaften ersten Adventsabend.

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Eintrag in das Buddelbuch- Euphelia am 23. November

Euphelia!!!! Eupheeeelia!!!!!!!! Eupheeeeliiiiiiiiaaaaaa!!!!

Das ist schon nicht mehr lustig. Seit Wochen, ja seit Monaten schweigt die Hausschreibfeder. Erst fehlten ihr die Themen, später die Sätze, zum Schluß die Worte – dann verschwand sie ganz. Lange stand sie auf dem Schreibtisch Zwischen den Zeilen – immer mit dem Blick auf die Haustür, in der sich im Juni der Schlüssel gedreht hatte und den sie keinen Tag aus dem Auge ließ. Sie war glücklich, denn Menschen kamen und gingen. Das ganz normale, verrückte Spiel hatte endlich wieder Fahrt aufgenommen, so, wie es alle kannten.

Hurra! und Wir sind wieder da! und Da sind wir endlich! und Schön, Euch zu sehen! und strahlendes Lächeln, lautes Lachen, Freude schöner Götterfunken – beim Ankommen.

Schon vorbei. und Wir kommen bald wieder. und Ach, das Inselleben war sooo schön. und Ich will nicht weg. und Bleibt gesund und Paßt auf Euch auf!  und ein Tränchen, Verabschiedung über Stunden, ein trauriges Schmollen – beim Weggehen.

Die Gutshotelfamilie war in ihrem Element: Verwöhnen, Wünsche erfüllen, neue Wünsche erfinden, um diese zu erfüllen, das Draußen draußen lassen. Jeder strahlte in seinem Bereich und an seinem Platz. Fast das ganze Leben spielte sich draußen im Gutspark ab. Frühstücken, Abendessen, Grillen, Lagerfeuer, Waffeln backen, lesen, quatschen, Cocktails schlürfen, Brot backen, Kastanien sammeln, Laub harken, Akkordeon lauschen, stricken, spielen.

Man konnte den Eindruck haben, dies sei ein Gesellschaftshaus, von „Hotel“ spürte man eher weniger. Es wurde Abstand gehalten, Rücksicht genommen und Respekt gezollt. Euphelia hätte jeden Tag darüber berichten wollen.  

Doch da stand ihr geliebter Freund Faust neben ihr auf dem Schreibtisch, den sie seit so langer Zeit vermißt hatte. Ganz kurz nur hatte sie ihn kennengelernt. Er lag neben den prachtvollen Fotobüchern in der Glasvitrine, hatte ihr den Weg in die Freiheit gewiesen, nachdem sie in ihrer Schachtel aufgewacht war. Sie hatte sich am Spalt der Scheibe kurz umgeschaut, seinen Blick gespürt und beide hatten sich sofort ineinander verliebt. Jedoch gingen sie unterschiedliche Wege. Faust reiste von Kiste zu Kiste international und Euphelia von Schreibtisch zu Schreibtisch auf der ganz kurzen Strecke.  

Zunächst wurde nun also fröhlich Wiedersehen gefeiert. Sie erzählte Faust von der langen, stillen, einsamen Zeit im Haus. Faust selbst war inzwischen viel herum gekommen. Mit Aladin gemeinsam in der Kiste flog er in den Orient, kam dann zum Zauberer von Oz. Mit dem zusammen wurde er auf Händen wieder zurück in das Haus getragen, denn es war überall das Interesse der Gutshotelfamilie an der Smaragdenstadt bekannt. Und so wollte es der Zufall, daß der kleine Prinz, der gerade zur selbigen Zeit auf dem gelben Steinweg wandelte, neben Faust gelegt wurde und sie zu zweit bei Euphelia ihren Platz auf dem Schreibtisch bekamen. Jetzt gab es kein Halten mehr. Sie sprudelten über, erzählten alle drei um die Wette ihre Geschichten. Beinahe hätte das 1002 Nächte gedauert. Doch plötzlich, mitten im Satz, wurde aufgeräumt. Räumen und Putzen – legendär im Gutshotel und sowieso Zwischen den Zeilen. Schon landete Faust wieder in einer Kiste. In letzter Minute gelang es dem kleinen Prinzen, Euphelias Bitte zu erfüllen. Er schubste sie zwischen die Seiten und so konnten Faust und Euphelia beisammen bleiben. Zunächst merkte es niemand. Euphelia hatte sowieso seit Tagen in der Öffentlichkeit geschwiegen, nur mit den beiden Dauerhelden erzählt. Sozusagen Sommerurlaub der Hausschreibfeder.

Doch eines Tages wisperte die Frage durch das ganze Haus: Wo ist Euphelia? Habt Ihr Euphelia gesehen?

Niemand hatte sie gesehen. Alles Suchen auf den Schreibtischen und in den Schubladen half nichts. Der kleine Prinz, der immer so lange fragte, bis er eine Antwort bekam, war als Gefragter sehr viel stiller. Er verriet nichts. Langsam wurde man unruhig. Ute bohrte schon intensiver nach. Habt Ihr Euch auch mal gekümmert? Wie geht es Euphelia?

Der kleine Prinz schämte sich ein wenig, daß er beim Suchen nicht half. Wenigstens die Richtung hätte er gern verraten. Aber Ehrenwort war Ehrenwort. Unter Prinzen – da hätte er vielleicht reden können. Unter Prinzen: AAAHA! Ja, das war es. Seit einigen Tagen hatte er schon immer mal wieder das Gerücht gehört, daß ein Prinz im Hause weilt. Noch hatte er ihn nicht gesehen. Ein Prinz im Gutshotel? Einer, der aufrecht sitzt und schreibt? Nicht einer, der liegt, geblättert und gelesen wird? Wenn das wahr wäre, könnte der kleine Prinz vielleicht einen Wink geben, damit Euphelia ihren Urlaub mit Faust beendet und zum Advent wieder ihren Dienst als Hausschreibfeder antritt. Und tatsächlich, genau am Schreibtisch Zwischen den Zeilen, genau da wo der kleine Prinz Euphelia zu ihrem Liebesglück verholfen hatte, nahm er Platz, der Bücherprinz.

Der Bücherprinz schlug das große, alte, ehrwürdige, hölzerne Buch auf und suchte nach einer Schreibfeder. Keine da. Urlaub. Der kleine Prinz wußte nicht, wie er anfangen sollte. Doch Bücherprinzen verstehen zum Glück die Lettersprache. Als der kleine Prinz sich räusperte und den Bücherprinzen bat, ihm eine Feder zu malen, malte dieser eine Schachtel. Da errötete der kleine Prinz und flüsterte ganz leise: Entschuldige, diese Schachtel ist leer, denn die Feder fiel in eine Kiste. Sie reiste mit Faust gemeinsam. Der Bücherprinz, der ja die Lettersprache versteht, hob die Augenbrauen, dachte kurz nach, lächelte und dankte erhaben – so von Prinz zu Prinz. Die Richtung war klar. Die Suche konnte beginnen, ein starker Trupp war schnell gefunden:

Elke hatte intellektuelle Unterstützung gebracht – Alma. Alma sollte mit ihren Kenntnissen in allen Wissenschaften den Weg zu Euphelia und Faust analysieren. Sie hatte eine umfangreiche Ausbildung an der Uni Rostock bestens abgeschlossen. Doch bei dieser Aufgabe kam selbst Alma ins Schwimmen. Von Sandra eilte Verstärkung herbei – Oskar mit Eula. Oskar hatte sich eine neue Familie gewünscht und war der Gutshotelfamilie in Liebe verfallen. Eula würde auch im Dunkeln zwischen den Kisten und Regalen gut sehen. Die drei waren ein starkes Team. 

Gemeinsam brachen sie auf, durchwanderten das Gerümpelland und kamen an im Bücherparadies – ein langer, halbdunkler Weg voller Kisten und Regale. Wo sollten sie anfangen zu suchen?

Euphelia!!!! Eupheeeelia!!!!!!!! Eupheeeeliiiiiiiiaaaaaa!!!!

Doch halt, still, ganz still! Da höre sich das doch einer an.

Haben die sich denn immer noch nicht alles erzählt? Sie kichern und wispern und reden und reden – und die Kiste offen und ganz in der Nähe. Alle traten heran. Euphelia und Faust unterbrachen überrascht ihr Gespräch. Ein von Liebe erfülltes Lächeln lag auf Euphelias Federmündchen. Sie sah aus, als wenn sie fast wüßte, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sie schaute den abenteuerlichen Suchtrupp an, einen nach dem anderen, fragte schlicht nach der Uhrzeit, streichelte die angekokelte Ecke ihres Freundes und sagte: Gehen wir an die Bar? Ich habe Durst.“

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Eintrag in das Buddelbuch – Euphelia am 26. Juli

Euphelia zieht ihr silbernes Füßlein sachte aus ihrem silbernen Stiefelchen und ganz langsam setzt sie an zu einem ersten Federstrich. Wieder und wieder zögert sie. Wie soll sie diese Tage beschreiben? Nein, es ist kein normales Leben. Nein, es ist nicht wie früher. Wie war früher? Was ist normal? Was heißt DAVOR und DANACH?

Lieber kommt sie zu diesem Augenblick zurück, zum Hier und Jetzt. An vielen Tischen im Gutspark mit seinen alten Kastanien sitzen Gäste. Sie reden in langen Gesprächen miteinander. Bärbel und Heidi haben sich ein Jahr nicht gesehen, vorher nicht gekannt und beginnen ihr Wiedersehen, als hätten sie schon gemeinsam im Sandkasten gespielt. Was für eine Vertrautheit. Rosemarie spielt Didgeridoo am großen Ausguck und hat bereits ihre erste Runde mit Kennerblick durch die Pflanzenwelt hinter sich. Der von ihr gepflanzte Bienenbaum hat sich so üppg entwickelt, daß alle unter ihm wachsenden Pflanzen wahrhaft Untertanen geworden sind. Die aromatische Luft nach einem kräftigen Regen lockt Bienen und Hummeln förmlich an. Eben erst zog ein grummelndes Gewitter über die Sonnenschirme hinweg. Noch immer hört man das Donnern in der Ferne hinter dem Wald. Manch einer flüchtete sich kurz in das Haus, andere rückten einfach unter den Sonnenschirmen zusammen. Silke und Frank standen eng beieinander unter einem Regenschirm vor dem Garten-Salon, den richtigen Schlüssel am großen Schlüsselbund suchend, bis die Sonne sich schon hinter einer Wolke ein Guckloch gebohrt hatte. Der Park atmete unter diesem herrlichen Landregen auf. Zum Glück ist er in diesem Jahr so wild, wie schon lange nicht. Inseln von hohem Grün, verschiedenen Gräsern und bunten Wildblumen locken so viele Insekten an, das man nur staunen kann, wie vielfältig und farbenfroh diese Welt der fliegenden Gesellen ist. Im Garten wurden die ersten tiefroten Stachelbeeren geerntet und der Kuchen danach gelobt. Johannisbeeren reifen, Zucchinis werden immer dicker und länger. Connys Kürbisexperiment entpuppt sich als Umsetzung des Märchens „Der süße Brei“. Auf den Feldern rund um das Gutshaus herum reift das Korn. Hochsommer. Wie schnell die Zeit nach dem Schlüsseltag an der Gutshotelfamilie vorüber huscht.

Nicht nur bei Vollmond in den letzten Tagen haben sie Glühwürmchen beobachten können in den stillen Stunden der verträumten Abende. Lange saßen die Gäste beisammen in lauer Luft, am glimmenden Feuer unter einem sternenklaren Himmel. Manch ein Städter bestaunt hier die Vielzahl der Sterne – ja, hier gibt es eben viele davon, hat Conny geantwortet und leise in sich hinein gelächelt. Dieser Genuß einer puren Sommerabendromantik zeigt so deutlich, was sie alles vermißt haben. Und dabei gehört doch wirklich so wenig dazu. Gestern abend saßen zwei auf den Holzstühlen kuschelnd nahe beieinander, es war bald Mitternacht, und Conny ahnte, dies war ein Abend, an den beide noch lange denken werden. Zeit füreinander und miteinander, die Welt um sich herum einen Augenblick vergessen, der Stille zweisam lauschen. Und doch fällt es Conny gerade schwer, den Regen einfach zu genießen. Die schrecklichen Bilder aus anderen Teilen Deutschlands, irgendwie gar nicht weit weg, überschatten die Schönheit eines Gewitters mit Landregen. Wie ein kleines Mädchen ist sie von der Romantik in ihrem Park verzaubert, hat sie sich in den letzten Monaten wahrhaft neu verliebt in ihr Zuhause, teilt es einmal mehr von Herzen gern mit ihren Gästen, doch gerade die Regengüsse und Überschwemmungen werfen ihr erneut die Fragen nach dem Sinn ihres Lebens vor die Füße. Hat sie ihren Platz gefunden? Tut sie alles, um ihre Spuren in Raum und Zeit glückbringend und wohltuend und nützlich und sinnvoll zu hinterlassen? Ist das, was bisher war, stimmig? Was davon kann sie bewahren? Was sollte sie verändern?

Conny ist sich gerade nicht sicher, ob dies hier aufgeschrieben gehört, aber Euphelia schreibt einfach ohne zu fragen. Sie wird aufpassen in den nächsten Tagen, daß Connys Gedanken sich erst zu Bildern im Kopf und dann zu Worten formen. Man merkt Conny diese Unruhe viel zu schnell an, wenn sie eben alles auf einmal tun will, wenn der Tag nicht ausreicht für ihre Vorhaben und das System der Prioritäten aussieht, als wenn im Bus alle Gäste in der ersten Reihe sitzen wollen, und wenn sie jeden Tag Brot bäckt, sodaß selbst Edoard, der Roggensauerteig, fast aus der Puste kommt.

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Eintrag in das Buddelbuch – Euphelia am 13. Juli

Euphelia hat sich endlich einen oberen Platz in Connys Ich-Tu-Liste erkleckst. Alles, was auf dieser Liste jetzt noch vor ihr steht, hat sie mit Tinte überspritzt. Spitzbübisch lächelt sie von ihrem Schreibtisch herunter – ich war das nicht!!! Sie will jetzt endlich raus aus ihrem silbernen Stiefelchen und in Bewegung kommen. Immerhin ist Euphelia die Hausschreibfeder. Gestern vor genau vier Wochen drehte sich der Schlüssel im Schloß. Na, ist es denn jetzt etwa langweilig? Oder warum ruft keiner nach Euphelia zum Diktat? Viele Menschen hat Euphelia inzwischen kommen und gehen sehen. Wie schnell sich alles wieder wie immer anfühlt, wie VORHER, als wären zwei Wochen Urlaub gewesen und nicht sieben Monate Stillstand. Die Gutshotelfamilie begrüßt und verabschiedet, oft mit Hurra, oft mit Tränen der Rührung, so oft mit strahlendem Lachen. Euphelia spürt jeden Tag aufs Neue den Stolz, die Begeisterung, die Leidenschaft. Es gibt es noch, das Bücherhotel mit seinem zauberhaften Verwöhnort. Und nichts tun sie hier gerade lieber, als endlich wieder sich kümmern, als Wünsche erkennen, bevor sie ausgesprochen wurden. Doch es gibt einen ganz besonderen Grund, warum Euphelia nicht einen einzigen Tag länger auf ihren Einsatz warten will. Sonnabend kam ein dicker Briefumschlag von Renate und Bernd. Darin ist ein geheftetes Buch aller Einträge von Euphelia seit Beginn in 2019. Seite für Seite haben Renate und Bernd ausgedruckt, mit allen Bildern und ein Buch daraus gestaltet. Es ist dick. Und es ist jetzt eine Geschichte, die wahrhaft in der Zeit DAVOR beginnt. Wie spannend wird es wohl sein, diese vielen Seiten hintereinander zu lesen. Euphelia ist so sehr dankbar über dieses riesengroße Geschenk. DANKE!!!!!!! Von ganzem Herzen Danke! Vielleicht ist dieses prachtvolle Buch als  Aufforderung auf den Punkt gelungen: nämlich, nicht mehr so wortlos am ersten Satz zu knabbern, sondern endlich wieder das Treiben und bunte Leben zu beschreiben. Immerhin ist Euphelia ja die Hausschreibfeder. Ab morgen wird sie per Klecks in bernstein wieder heftig daran erinnern, daß sie für die Klicks verantwortlich ist. Versprochen!!! Renate und Bernd, ihr bekommt also wieder Stoff. Nochmals Danke!!!!!