Euphelia wird fast verrückt. Haben denn alle vergessen, daß es hier im Bücherhotel eine Hausschreibfeder gibt? Keiner grüßt sie oder hält ihr die Hand hin oder öffnet ihr gar das Tintenfaß. Conny geht blicklos an ihr vorüber. Es ist zwar schon viel, viel besser geworden, doch ihr rechter Fuß latscht seit Wochen humpelnd neben dem linken daher. Vielleicht muß sie sich einfach auf jeden Schritt konzentrieren. Euphelia erinnert sich, wie Philipp auf Connys 60. Geburtstag am Morgen den Fuß massierte, bis diese ihre Schmerzenstränen nicht mehr verbergen konnte. Seine Zauberhände wußten, was sie tun, denn Conny wollte am Abend unbedingt Walzer tanzen. Um Übergriffe zu verhindern, las ihr Philipp nebenher aus einem Buch vor. Genau, denkt Euphelia, damit begann das Dilemma. „Achtsam morden“ heißt das Buch – und seitdem ruht Conny in sich und Euphelia leider auch. Dieses Zitat steckt seitdem in Connys Brillenetui:
„Wenn Sie vor einer Tür stehen und warten, dann stehen Sie vor einer Tür und warten. Wenn Sie sich mit Ihrer Frau streiten, dann streiten Sie sich mit Ihrer Frau. Das ist Achtsamkeit. Wenn Sie vor einer Tür stehen und sich in Gedanken mit Ihrer Frau streiten, dann ist das nicht Achtsamkeit.“









Euphelia sieht ja ein, daß dies für die folgenden Wochen Connys Rettung war. Mitte Mai kündigte das Frühstücksengelchen nach 14 gemeinsamen Jahren aus heiterem Himmel zum 1. Juli und Conny stand voll im Regen. Die Buchungen waren für zehn wundervolle Gutshotelfamilienmitglieder angenommen worden und mußten nun ab Juli von neun Leuten umgesetzt werden. Stundenlang saß Conny am Dienstplan und Belegungsplan, wie ein Konstrukteur am Reißbrett. Gemeinsam haben sie es geschafft. In den Folgemonaten kann auf eine Person im Team weniger bereits reagiert werden. Sie buchen, was geht und allen guttut. Und natürlich wünschten sie auch Engelchen zum Abschied alles Gute auf ihrem weiteren Weg. Es waren schöne gemeinsame Jahre mit dem Frühstücksengelchen.
Im Mai wurde nach so vielen Monaten ohne Gesellschaften wieder eine Tafel dekoriert. Und zum ersten Mal sogar im umgebauten Saal, im neuen Gesellschaftsraum „Otto Reuter“.

Das Fahrrad holte Conny aus der Garage, um sich selbst zu beweisen, daß SIE ihrem Fuß ansagt, was geht und nicht umgekehrt. Ein wunderschöner Nachmittag zeigte ihr, da geht noch was. Auch mit 60 lebt ihr Traum von einer langen alleinigen Radtour durch Deutschland. Wer sie kennt, befürchtet, daß sie eines Tages von der Rezeption aufsteht und für ein paar Wochen verschwunden ist.



Mitte Mai fuhren Conny und Torsten an einem Nachmittag sehr spontan nach Lüneburg. In letzter Minute hatten sie noch zwei Karten ergattert für die Lesung mit John Strelecky. Seit Jahren ist das Buch „Das Café am Rande der Welt“ ihr wichtiger Begleiter. Alle Bücher von Strelecky hat sie gelesen und Torsten davon erzählt. Nun konnte sie in der zweiten Reihe diesem interessanten Autoren hingerissen lauschen und war total begeistert.



Maxi und Oli erlebten in Berlin ein Konzert mit 2Cellos. Diese Musik kannte Conny vorher gar nicht und freut sich über diese neue Richtung.

Schön, daß sie immer wieder lernen darf. Achja, apropos lernen: Conny ist fleißig dabei, kreatives Schreiben zu lernen. Anfang Juni fand ein winziger Schreibkurs mit zwei Teilnehmerinnen statt, um es zu probieren. Nun will Conny unbedingt ihren Abschluß eines Online-Studiums schaffen, um im kommenden Jahr selbst solche Kurse anzubieten. Monatlich arbeitet sie sich durch Übungshefte und schickt Einsendeaufgaben ab. Aber – das muß Euphelia ehrlich petzen: In Verzug ist Conny doch, da wird noch ein Endspurt nötig sein.



Ende Mai umrahmten sie den 70. Geburtstag des Autors und Verlegers Ruprecht Frieling. Prinz Rupi war schon häufig Gast hier im Bücherhotel, doch vor diesem Ereignis war die Gutshotelfamilie voller Ehrfurcht. Es wurden drei herausragende und gesellige Tage. Dies könnt ihr hier nachvollziehen:

Bei all dem Trubel konnte Conny immer wieder die Schönheit ihres Parks genießen. Dank der Achtsamkeitsübungen aus „Achtsam morden“ saß sie einfach am großen Ausguck und tat – nichts.

Anfang Juni zeigte Maxi ganz stolz den neuen Entwurf einer Speisekarte. Nach zwei Jahren Entzug reichten Liane und sie an den nächsten Abenden ihren Gästen endlich wieder eine Speisekarte. Es hatte ihnen so gefehlt. Außerdem gestaltete Ingo neue Ideen für Abende, an denen im Sommer gemütlich das Ambiente im Park genossen wird. So entstanden neben den legendären Grillabenden jetzt auch rustikale Brotzeiten, nachdem herrlich duftende Brote aus dem Mecki hungrig machten.

Das Nudelbuffet deLuxe läßt in seiner Vielfalt und Schmackhaftigkeit jeden Erwachsenen zum Kind werden. Unsere Rocke-Wandergruppe brachte die Idee mit, Currywurst mit Pommes und Soßen und Salaten anzubieten. Ein kulinarischer Höhepunkt inzwischen. Vor allem macht die Geselligkeit und die gute Laune an diesen Abenden Lust auf neue solcher Ideen.
Im Juni ist einiges in Eulenhausen passiert. Hinter dem Naschweg wurde nun ein Maronenweg angelegt. Links neben dem Wagon entstand ein Rocky Hill mit drei Feuerahörnern, die speziell aus Hamburg hergebracht wurden.




Mitte Juni erlebte Conny einen zauberhaften und ganz wundersamen Vollmond total allein auf dem Bahnsteig. Dies war der Moment der Sehnsucht nach den so beliebten Vollmond-Veranstaltungen. So sie dürfen, wird es im nächsten Jahr solche Abende wieder geben.

An ein besonderes Lese-Erlebnis erinnert sich Euphelia. Conny sprach tagelang von nichts anderem. Ihr Sohn Charly belegte ein Kehlmann-Seminar. Wahrscheinlich deshalb fiel ihr das Buch in dem Karton sofort auf. „Unter der Sonne“ Erzählungen. Welch interessante Sprache, rote Fäden in den Erzählungen, die ständig um die Ecke dachten, Schlüsse, mit denen sie nie rechnete. Ein Buch, welches unbedingt ein zweites Mal gelesen werden will.

An dem Wochenende, an dem sonst Mittweihnachten gefeiert wird, teilten sich in diesem Jahr eine Hochzeit und ein Geburtstag das Hotel. Zwei kleine Gesellschaften, deren Gäste dem Bücherhotel schon seit sehr vielen Jahren gute Freunde geworden sind. In diesem Rahmen fand auf dem Bahnsteig am Wagon das erste Klavierkonzert statt. Kaum zu beschreiben, mit welcher Andacht die Stimmung bei untergehender Sonne wahrgenommen wurde.


Im Juli kamen DIE Kölner. Eine legendäre Busgruppe, die seit Jahren die Herzen der Gutshotelfamilie verzaubert. Sie blieb 11 Tage und keiner davon wurde langweilig. Jeden Tag Ausflüge, jeden Tag neue Dekoration am Abend. Volles Programm von und für Herzensmenschen. Sollte Euphelia irgendwann einmal über die Hintergründe der Hochzeit von Conny und Torsten schreiben dürfen, dann würden DIE Kölner eine wichtige Rolle in dieser Geschichte spielen.



Achja, noch ein wichtiges Ereignis fand im Juli statt. Conny hatte von ihrem Schwiegervater voller Vertrauen seine Hollywoodschaukel geerbt. Jahre dauerte es, bis sie nun endlich repariert und saniert ihren ehrenwerten Platz gefunden hat. Conny ist sehr glücklich darüber. Wenn das nächste Mal Torstens Schwestern kommen, werden sie hier gemeinsam in Erinnerungen schwelgen.

Ansonsten, denkt sich Euphelia gerade, gibt es eigentlich auch gar nicht viel zu berichten. Der Sommer zog eben seine Bahnen. Die Hitze legte das Gehirn lahm. Und doch wurde immer wieder gegossen, gepflanzt, gebacken, geputzt, gekocht, gelacht und viel erzählt. Conny und Torsten schafften sogar einen kleinen Abstecher auf die HanseSail. Einmal Schiffe gucken und zurück. Daheim erwartete sie ein zauberhafter Vollmond.


Bis heute weilte eine Scootergruppe im Bücherhotel. Euphelia staunt, von woher überall in Deutschland diese Scooter angereist kamen. Eine geführte Reisegruppe, die in den letzten Tagen dieses wunderschönste aller Bundesländer lieben lernte.

Nachdem diese heute abreisten, gab es einen Hausputz auf Hochtouren, denn am Abend reisen Radler aus vielen verschiedenen Ländern an. Neues Spiel, neues Glück – und immer wieder Torsten am Grill.
Jetzt lehnt sich Euphelia wohlig zurück. Eigentlich hat sie Conny überlistet. Euphelia hatte sich einfach eine Hand geborgt. Von wem? Wer weiß das schon…
